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Zwangsräume Gervinusstraße 20

Zwangsräume Gervinusstraße 20

Kurt Messerschmidt, Berlin 1.4.1882 – Auschwitz 12.3.1943 / Charlotte Messerschmidt, Berlin 31.1.1889 – Auschwitz 12.3.1943

Gervinusstraße 20

Zwangs
räume

Antisemitische Wohnungspolitik
in Berlin 1939-1945

Die Gedenkkacheln sind an der Außenwand des Hauses und direkt unter dem Hausnummernschild „20a“ zu finden. Die obere Gedenkkachel erinnert an die Familie Messerschmidt, während ihres Urlaubs auf Norderney im Jahr 1927. Auf der unteren Gedenkkachel ist der vom jüdischen Baumeister und Bewohner Kurt Messerschmidt entworfene Grundriss des Mietshauses zu sehen.

In mindestens 12 von den 26 Wohnungen des im damaligen Halensee gelegenen Mietshauses lebten 84 Jüdinnen und Juden, von denen 51 deportiert und ermordet wurden. Zu den Ermordeten gehörten auch das Ehepaar Kurt und Charlotte Messerschmidt, geb. Herrmann, und ihre Schwiegertochter Ilse Ruth (genannt Inge), geb. Moses. Als Erbauer des Hauses lebte Kurt selbst mit seiner Ehefrau seit April 1912 in der Erdgeschosswohnung. Zwischen 1939 und bis zu ihrer eigenen Deportation im Jahr 1943 teilten sie sich ihre Wohnungen mit Ruth Levy, über dessen Schicksal nichts bekannt ist, und dem Ehepaar Theodor und Jette Meyer, geb. Löwenberg. Das Ehepaar Meyer wurde ebenfalls 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Auch der Bruder des Hauseigentümers Dr. Eugen Messerschmidt und seine Frau Helene, geb. Moses, lebten zunächst als Untermieter in dem Haus. Das Ehepaar teilte sich eine 3-Zimmer-Wohnung mit der Hauptmieterin und Schauspielerin Erna Edna Leonhard und ihrem Sohn Leonor. Nach dem Auszug der Künstlerin übernahm das Ehepaar bis 1943 die Hauptmiete. Danach tauchten sie in einem Dorf bei Wiesbaden unter, wo sie verraten und 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Aus der Familie Messerschmidt überlebte nur der erwachsene Sohn und Ehemann von Ilse Ruth, Hans Peter. Der heutige Besitzer des Hauses in der Gervinusstraße ist der Enkelsohn von Kurt Messerschmidt und Sohn von Hans Peter, welcher 1950 das Haus seiner Eltern vor Gericht zurückerhielt.

Die Hausgeschichte zu den einzelnen Wohnungen und deren jüdischen Bewohnern ist online unter https://zwangsraeume.berlin/de/houses/gervinusstrasse-20 dokumentiert.

Die Gedenkkacheln wurden im Rahmen des Projektes „Zwangsräume. Antisemitische Wohnungspolitik in Berlin 1939–1945“ des Vereins Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. und der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin angebracht, das durch die Alfred Landecker Foundation unterstützt und gefördert wurde. Die Gestaltung und technische Umsetzung des Projektes lag bei dem Zoff Kollektiv (https://www.zoff-kollektiv.net/).

Als Konsequenz aus dem „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 musste fast die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Berlins ihre Wohnungen verlassen und umziehen. Die Betroffenen wurden, vermittelt durch die „Wohnungsberatungsstelle der Jüdischen Gemeinde Berlin“, zur Untermiete in Wohnungen eingewiesen, in denen bereits andere jüdische Mieterinnen und Mieter lebten. Zumeist waren diese Zwangswohnungen der letzte Wohnort vor deren Deportation und Ermordung.
Historisch interessierte Personen, von denen einige heute selbst in ehemals betroffenen Häusern leben, haben die Geschichte dieser Zwangsräume in Berlin anhand von 32 (von stadtweit insgesamt mindestens 800…) ausgewählten Häusern in einem partizipativen Projekt untersucht. Entstanden ist eine digital konzipierte Online-Ausstellung, die unter https://zwangsraeume.berlin abrufbar ist.

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